Der heutige Tag begann damit, dass ich im Bett blieb. Zwar meinten andere, darunter mein gestriges, gestrenges Ich, ich hätte mich zu erheben. Es hat sich nicht ergeben.
Mein Bett ist ein schöner Ort. Es ist warm und weich und man sieht, wenn man eine Decke zur Unterstützung der Lage von Kopf und Rumpf zu Hilfe nimmt, direkt auf die Fassade des Nachbarhauses. Aus dieser Perspektive sind durch den Rahmen meines Schlafzimmerfensters drei Stockwerke ausschnitthaft zu erkennen. Die Architektur ist nicht sonderlich erbaulich. Dennoch haben die Architekten daran gedacht, jede Wohnung mit einem Balkon auszustatten – eine erfreulicher Beweis von Bedürfnisantizipation, der gewisse ästhetische Defizite in Konzeption und Ausführung des Gebäudes zu kaschieren vermag.
Als Geländer dienen massive, weiße Betonwände, die aus Gründen der praktischen Bequemlichkeit von einem zur Straßenseite hin gewölbten Handlauf aus Stahl gekrönt sind. Daran kann man seine Unterarme abstützen, wenn man mein Nachbar ist und kurz den Balkon betritt um sich, zum Beispiel, an den verkehrsberuhigten Verhältnissen unserer Straße zu erfreuen. Manchmal beneide ich meine Nachbarn um ihre Balkone mit ihren klobigen, stahl-handlauf besetzten Betongeländern.
Zwei der drei aus meinem Bett einsehbaren Balkone wurden von ihren Benutzern teilweise vor neugierigen Blicken geschützt. Zu diesem Zweck wurden Matten aus Bast oder Filz zurechtgeschnitten und an den Vorsprung des jeweils darüber liegenden Balkons getackert, sodass der Blick auf die Tür, die aus der Wohnung auf den Balkon führt, verwehrt bleibt. Auf diese Weise entsteht ein kleiner Zwischen-Raum, der weder ganz zum Wohnungsinneren noch ganz zum Balkon gehört. Ich vermute, dass damit der menschlichen Eigenart, geplante Handlungen erst während ihrer Ausführung vollständig zu durchdenken, Rechnung getragen wird: Ist es wirklich eine gute Idee, so wie ich bin, die Wäsche vom Balkon zu holen? So, nackt?… Glück gehabt, weil der Gedanke im Zwischen-Raum kam.
Auf dem untersten der drei Balkone haben meine Nachbarn ein Gerüst aus massiven Holzbalken gestellt, nach der Art die man, da wo ich herkomme, Pergula nennt. Diese Art von grobschlächtigem, unfertigen Pavillon findet sich sonst beliebterweise in größeren Gärten grünbewegter Mittelschichtler – vorzugsweise überwuchert von Kletterpflanzen – oder, artverwandt, vor Reihenhäusern des Speckgürtels, wo sie die tragende Konstruktion sogenannter “Car-Ports” bilden. Man kann nur mutmaßen, welches Vorbild meine Nachbarn im Sinn hatten, als sie das dachlose, pflanzenfreie Gestell auf ihrem 8m² Balkon verkeilt haben. In jedem Fall ist aber gleichzeitig die Hoffnung auf ein Leben im Einfamilienhaus und der manifeste, weil hölzerne Zweifel, dass diese Hoffnung sich in absehbarer Zeit erfüllen wird.
Später ging ich ins Café um zu Mittag zu essen.